Neue Form der Finanzierung von unternehmerischen Initiativen: US$ 147 Mio in drei Stunden

ICOs = Initial Coin Offerings kommen aus dem Nichts

Was ist ein ICO?

Vor wenigen Tagen mobilisierte ein ICO einen Betrag von 396 720 Ether, was einem Gegenwert von US$ 147 Mio entspricht. Der Gegenstand war ein Unternehmen namens Bancor. Im Fall Gnosis brauchte man 15 Minuten für US$ 12 Mio.  In die Kassen von Brave Browser flossen innert 30 Sekunden US$ 36 Mio.

Das an Crowdfinanzierungen erinnernde Verfahren beeindruckt die Märkte.

Bedeutend höhere Beträge sind für die nächste Zeit angekündigt.

Angenehm ist es auch, wenn gleich nach einem ICO der Kurs für Ether steigt.

Was macht also das wundersame ICO aus?

Ein ICO ist ein Verfahren aus dem Bereich der

  • Kryptologie, mit dem
  • Krypto-Geld für
  • Krypto-Projekte

eingesammelt wird. Die Abkürzung ICO steht für „Initial Coin Offering“. Die sprachliche und inhaltliche Nähe zum „Initial Public Offering = IPO“ springt ins Auge.

Über die beeindruckenden Volumina der abgewickelten ICOs kann man sich über eine fortlaufend auf den neusten Stand gebrachte ICO-Statistik und über die Waves-Plattform unterrichtet halten.

Die Frage, ob sich das Verfahren auch für Startups außerhalb des Kryptouniversums eignet, ist noch Gegenstand von Debatten.

Kryptologie

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Der gemeinsame Nenner der ICOs ist die Kryptologie. Dies ist die Wissenschaft von Verfahren, mit denen man Informationen verschlüsselt und wieder entschlüsselt, um sie vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Zu Prominenz kam diese Wissenschaft im 2. Weltkrieg, als die deutsche Seite mit „Enigma“-Maschinen  einen großen Teil ihrer militärischen Kommunikation für die Gegner unlesbar machte. Einige dieser Geräte kann man heute im Untergeschoss des Frankfurter Museums für Kommunikation   in Augenschein nehmen. Britischen Mathematikern gelang die Entschlüsselung. Sie ließen indessen nicht erkennen, dass sie mitlesen konnten. Heute ist die Kryptologie eine prosperierende Dienstleistungsindustrie. Auf Verschlüsselung ausgerichtete Kryptologen versuchen, sensible elektronische Information vor unbefugten Zugriffen zu schützen. Auf Entschlüsselung ausgerichtete Kryptologen (=Hacker) versuchen, verschlüsselte elektronische Informationen trotzdem lesbar zu machen.

Ein moderner Sonderbereich der Kryptologie ist die Schöpfung von „Kryptogeld“. Beispiele sind Bitcoin, Ether und Ripple, die Vielfalt ist unübersehbar. Kryptogeld schöpfen Kryptologen („Miners“), indem sie nach vorgegebenen Regeln mit ihren Rechnern immer schwieriger werdende mathematische Aufgaben lösen und als Gegenleistung Gutschriften von Kryptogeld bekommen.

Was von Kryptogeld zu halten ist

Gestandene Anlagespezialisten mögen Kryptogeld als „etwas aus der Steinzeit“ ablehnen.  Angesichts der massiv zulegenden Marktkapitalisierung werden sie das Kryptogeld aber nicht als unwichtig abtun. Sie werden auch einräumen, dass die Schöpfung solchen Geldes deutlich mühsamer ist als die von Zentralbankgeld.

Es gibt auch Spezialisten mit weniger Skrupeln, die aus Kryptogeld Anlagemodelle entwickeln.

Die Finanzwirtschaft engagiert sich inzwischen auch massiv für das sich zweifellos als wertvoll erweisende Medium, mit dem sich Kryptogeldbeträge zuverlässig und schnell von einer Person auf eine andere übertragen lassen, also die Blockchain. Im Kern ist die Blockchain eine an sehr vielen Stellen gleichzeitig und damit nicht zu manipulierende dezentral verteilte Datenbank.

Krypto-Projekte

Krypto-Projekte sind Initiativen, die kryptologische Verfahren entwickeln oder diese zum Einsatz bringen. Ein prominentes Beispiel ist Bancor. Bancor ist ein Verfahren für die automatische Feststellung von Preisen und den Austausch von digital definierten Werten.

Ein auf dem Kryptomarkt Kryptogeld mobilisierendes Unternehmen bedient sich einer eigenen neuen Kryptowährung oder nutzt eine existierende Kryptowährung.

ICO im rechtlichen Weltraum, aber nicht immer

Aus den oben beschriebenen Bausteinen setzt sich das ICO zusammen. Die im Krypto-Universum tätigen natürlichen und juristischen Personen investieren Kryptogeld, um eine Teilhabe an Krypto-Projekten zu erhalten. Die Teilhabe definieren sogenannte „Tokens“, also elektronisch definierte Wertmarken. Die Tokens definieren unterschiedlich klar die Beteiligung an Gewinnen und Stimmrechte. Sie lassen sich mit Aktien oder Zertifikaten vergleichen, haben aber keine gesetzlichen Grundlagen.

Auch wenn Kryptogeld wie staatlich ausgegebenes Geld funktioniert und die Akteure in diesem Markt auf diese Funktion stolz sind, weichen sie der Einordnung als Geld gern freundlich lächelnd wieder aus: Da alle Rechtsordnungen mit staatlichen Monopolen für die Ausgabe von Geld arbeiten, sei Kryptogeld kein Geld im Sinne staatlicher Gesetze.

Damit kann sich das Kryptogeld rechtlich gewissermaßen in den Weltraum zurückziehen. Es unterliege nicht irdischen Gesetzen und damit keiner Regulierung. Auch die Verträge über Investitionen und über die sich aus Tokens ergebenden Rechte sind außerirdisch, sollen sich keinem staatlichen Recht unterwerfen. Deshalb sind sie in „Code“ als „Smart Contracts“ geschrieben, nicht in gewöhnlicher Sprache.

Bei dem Ausweichmanöver in den Weltraum halten die Kapital suchenden Unternehmen respektvollen Abstand vom krakenhaften Recht der Vereinigten Staaten. Denn sie müssen den Eindruck vermeiden, die Tokens seien Wertpapiere und seien deshalb zu als solche bei der SEC zu registrieren. Bei der Vermeidung von US-Tentakeln haben die Kapitalmärkte über die Jahrzehnte Routine entwickelt. Sie arbeiten mit Verkaufsbeschränkungen.

Der irdischen Polizeimacht kann dennoch der Dank von Geschädigten aus dem Kryptouniversum gelten. Dies ist der Fall, wenn man sie braucht, weil ein Hacker Kryptogeld von auf der Erde stationierten Festplatten entwendet oder zur Zahlung von Lösegeld z.B. für die Freigabe von böswillig blockierten Rechnern aufgerufen hat: RansomeWare . Einmal hat sogar eine US-amerikanische Polizeidienststelle Lösegeld in der Form von Kryptogeld gezahlt, um wieder mit den Computern der Behörde arbeiten zu können.

Warum fließt Kryptogeld in Kryptoprojekte?

Im klassischen Kapitalmarkt ist den interessierten Investoren ein Prospekt vorzulegen. Dieser Prospekt hat vor allem formalen Kriterien gerecht zu werden, die gesetzlich festgelegt sind. Dahinter steht der Glaube, dass formale Richtigkeit auch die tatsächliche Sicherheit für Investoren erhöhe.

Im Kryptouniversum gibt es keine Prospekte. Die Investoren sind nicht ahnungslos und nur von Geldgier Getriebene. Sie sind scharfe Denker, kennen sich mit Kryptologie aus und sollten genau unterscheiden können. Sie bewegen sich in Wettbewerbsmärkten. Bevor sie Kryptogeld in ein Krypto-Projekt stecken, befassen sie sich mit der Logik und dem Zweck des Projekts.

Die dafür eingesetzte Unterlage ist ein White Paper mit einer Road Map. Dies sind mit großer Sorgfalt verfasste Dokumente. Sie verschaffen dem Fachmann eine genaue Vorstellung von der Methodik und der Zwecksetzung des dargestellten Vorhabens. Mangelnde technische Sorgfalt oder nicht überzeugende Ziele straft der Markt ab, indem er das Kapital verweigert.

Wir haben es hier also mit einem sehr lebendigen, fachlich anspruchsvollen, professionellen und global aufgestellten Biotop der Informationstechnologie zu tun. Der Wettbewerb von Systemen und wechselnden Allianzen zwischen Akteuren funktioniert, Kreativität gedeiht. Eine Gefahr, dass hier unbedarfte Kleinanleger in Fallen tappen könnten, ist nicht auszumachen. Wer nicht sehr sachverständig ist, kann sich nur in das Kryptouniversum verirrt haben und muss ein Spieler sein.

Was haben wir zu erwarten?

Das Kryptouniversum ist inzwischen so groß geworden und hat so viele mächtige Spieler aus den Finanzmärkten eingebunden, dass es sich wohl nicht mehr verbieten lässt. Einige Zentralbanken experimentieren bereits mit Komponenten aus dem Kryptouniversum, und das Reich der Mitte bereitet sich auf die Ausgabe von  staatlichem Kryptogeld vor.

So wie die stehende im Gegensatz zu der laufenden Uhr jedenfalls zweimal am Tag genau die richtige Zeit zeigt, bekommen die Skeptiker und Kritiker immer ein wenig Recht. Es wird sicherlich Krypto-Projekte geben, die mit unzutreffenden Angaben Kryptogeld anziehen. Das Respekt einflößende Wort „Krypto“ schützt nicht vor Missbrauch. Eine Hype lädt sogar dazu ein.

Solange aber Profis den Ton angeben, werden diese selbst die Korrekturen leisten wollen und sich die Unabhängigkeit zu sichern wissen. Das opportunistische Pendeln zwischen dem rechtlichen Weltraum und der irdischen Sphäre funktioniert zu gut, um Einschränkungen zu rechtfertigen.

Extreme Kursschwankungen von Kryptowährungen mögen in vielen Fällen unerklärlich und schmerzhaft sein. Sie heben aber den Markt nicht aus den Schienen. Die Teilnehmer leben von Anfang an damit, sie schütteln das ab.

Der Umstand, dass Smart Contracts in „Code” geschrieben sind, erledigt nicht die Frage nach deren sachlichen Eignung. In klassischen Rechtssystemen gibt es ausgereifte Regeln dafür, unter welchen Voraussetzungen und wie Investoren Entscheidungen treffen und Gewinne verteilen. Wer Tokens ausgibt, tut gut daran, sich an solchen Regelwerken zu orientieren. Längst gibt es Initiativen, welche die ausgereiften Regelungen aus der irdischen Welt mit dem Kryptouniversum verbinden. Hier geht es nur um praktische Vernunft. Die Gewinner werden auf beiden Seiten zu finden sein.

Warum wir die Bewegung begrüßen und unterstützen sollten

Es spielt keine Rolle mehr, ob es mehr oder weniger kräftigen Widerstand gegen das Kryptobiotop gibt. Das Biotop wächst, es wird Schwankungen erleben, und es ist auf zukünftiges Wachstum eingestellt.

Die Blockchain ist die erste Komponente, welche die digitale Welt beflügelt und stärkt. Das Spektrum von deren Anwendungsmöglichkeiten ist noch gar nicht erfasst.

Wahrscheinlich steht die Blockchain nur für den ersten Innovationsschub für die reale Welt. Denn wer sich im Weltraum bewegt, will irgendwann wieder auf die Erde zurück und dort mit seinen Erkenntnissen etwas bewirken.

 

Dr. Martin Bartels, LightFin

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